Nimmt der Beschwerdeausschuss im Rahmen der Anerkennung von Praxisbesonderheiten einen pauschalen Abzug von dem geltend gemachten Verordnungsvolumen vor, so ist dieses Vorgehen rechtswidrig.

Die entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 18.08.2011 (L 3 KA 29/11 B ER).

Der Sachverhalt:

Im Jahr 2003 nahm Kläger als Facharzt für Chirurgie an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Aufgrund der Überschreitung der Richtgrößen für Arzneimittel um mehr als 25 % leitete die Prüfungsstelle eine Richtgrößenprüfung ein, in dessen Folge gegen den Chirurgen einen Nettoregress in Höhe von 28.848,76 Euro festgesetzt wurde.

Im Wege des Widerspruchs wehrte sich der Arzt gegen den Regress und führte zur Begründung der Richtgrößenüberschreitung unter anderem Praxisbesonderheiten im Bereich der Sportmedizin an.

Der Beschwerdeausschuss half dem Widerspruch teilweise ab und erkannte die Verordnung der auf die Behandlung von Sportverletzungen gerichteten Medikamente zu 50 % als Praxisbesonderheiten an.

Gegen diesen Bescheid ging der Arzt gerichtlich weiter vor.

Die Entscheidung:

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen stellte mit Beschluss vom 18.08.2011 (L 3 KA 29/11 B ER) die Rechtswidrigkeit des Richtgrößenregresses fest. Die Praxisbesonderheiten seien darin nur in unzutreffender Weise berücksichtigt worden.

Seine Entscheidung begründete das Gericht wie folgt:

Nachdem der Beschwerdeausschuss das Vorliegen von Praxisbesonderheiten bejaht hatte, hätte er den hierdurch gerechtfertigten Verordnungsumfang quantifizieren müssen, um eine Richtgrößenüberschreitung festzustellen und ggfs. einen Regressbetrag festzusetzen.

Sei eine genaue Berechnung des auf die Praxisbesonderheit entfallenden Verordnungsumfangs nicht möglich, so habe der Beschwerdeausschuss ihn einzelfallbezogen zu schätzen.

Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeausschuss den durch die Praxisbesonderheit „Sportverletzungen“ entfallenden Verordnungsaufwand auf 50 % des Verordnungsvolumens geschätzt, welches auf die von dem Arzt genannten Arzneimittel Bextra, Celebrex, Vioxx, Mydocalm und Doc-Salbe entfiel. Zur Begründung teilte er mit, die Anerkennung erfolge lediglich anteilig, weil die Verordnung dieser Präparate grundsätzlich keine Besonderheit in der Fachgruppe der Chirurgen darstelle.

Diese Begründung sei von dem Beschwerdeausschuss bereits in der Vergangenheit undifferenziert in einer Vielzahl von Fällen eingesetzt worden, und zwar unabhängig von der Fachgruppe und der jeweils geltend gemachten Besonderheit.

Ein solches Vorgehen erkannte das Gericht für rechtswidrig. Es werde damit keine einzelfallbezogene Lösung vorgenommen, sondern ein genereller Grundsatz angewandt werde, wonach die gehäufte Verordnung von nicht fachgruppenfremden Präparaten immer nur zur Hälfte als Praxisbesonderheit anerkannt werden könne.

Um die Quantität der Praxisbesonderheit zu ermitteln, sei zwischen der Höhe des Anteils an Sportverletzungen an den von der Vergleichsgruppe der Chirurgen behandelten Indikationen mit dem im Einzelfall geltend gemachten Anteil zu vergleichen, so das Gericht.

Der Beschwerdeausschuss hatte letztlich eine nachvollziehbare einzelfallbezogene Quantifizierung der von ihm anerkannten Praxisbesonderheit nachzuholen.

Praxistipp:

Für die Geltendmachung von Praxisbesonderheiten obliegt zunächst dem Arzt die Darlegungslast, d.h. er muss dem zuständigen Ausschuss spezielle Strukturen seiner Praxis aufzeigen, die eine Praxisbesonderheit rechtfertigen. Dieser Darlegungslast kann er genügen indem er etwa die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz seiner Patienten jeweils zuzuordnen ist. Zudem sollte er den Aufwand an erforderlichen Arzneimitteln aufführen.

Wollen Sie Praxisbesonderheiten geltend machen, ist eine genaue Prüfung Ihrer Verordnungsdaten-ggfs. mit fachkundiger Unterstützung im Medizinrecht- unerlässlich. Trotz des hohen zeitlichen (und nervlichen) Aufwandes sollten Sie diese Arbeit nicht scheuen. Ist eine Praxisbesonderheit einmal anerkannt worden, gilt sie auch für die folgenden Jahre fort.